“Vor 200 Jahren wäre Putin als Eroberer in die Geschichte eingegangen, heute wird er es als Kriegsverbrecher”.
Diese Worte beschreiben einen massiven Fortschritt in Richtung hin zu einer zivilisierteren Welt in den Köpfen der Menschen. Doch ausgerechnet in der deutschen Politik haben viel zu viele in den letzten Jahrzehnten ihre Augen davor verschlossen.
Echte Demokraten aus Überzeugung machen mit ihren demokratischen Werten nicht an Landesgrenzen halt.
Putin begründete seinen Überfall auf die souveräne Demokratie Ukraine mit kruden völkischen Fantasien von einem angeblichen historischen Anspruch auf das Gebiet der Ukraine und einem konstruierten russischen Volksbegriff, der weit in das Mittelalter zurückgreift.
In diesen Zeiten wäre aber das Konzept eines Volkes, einer Nation, eines Nationalstaat für die damaligen Menschen vollkommen unverständlich gewesen. Krieg führten lokale Gewaltherrscher mit zu langen Namen und zu vielen Kreisen im Stammbaum völlig offen zur persönlichen Bereicherung als ihr souveränes, von einem konstruierten Gottesauftrag hergeleitetes Recht, der Pöbel hatte nicht mitzureden und konnte froh sein, wenn die Herrscher überhaupt die gleiche Sprache sprachen.
Deshalb stellte der Nationalismus im 19. Jahrhundert erstmal einen Fortschritt dar, da er überhaupt erstmal ein Vertständnis als Staatsvolk definierte, von dem eine Volkesherrschaft ausgehen konnte. Kein Wunder, dass der Preußenkönig die ihm vom Paulskirchenparlament angetragene Kaiserkrone so vehement ablehnte – stand dessen Legitimation als Vertretung eines deutschen Volkes doch in krassem Widerspruch zu der Legitimation seiner Familie und seines Standes als gottgegebene Herrscher über weitgehend eroberte Gebiete.
Doch die demokratisch regierten Republiken damals befanden sich in einer weitgehend undemokratischen Welt – Volksherrschaft waren die Ausnahme, nicht die Regel.
Da ist es auch kein Wunder, dass sich ihr Demokratiebegriff weitgehend auf das eigene “Volk”, oder eher, die eigene In-Group bezog. Nach außen hin spielten sie das Spiel der Monarchen ohne Gewissensbisse mit. So führten auch Großbritannien, Frankreich, USA Eroberungskriege gegen andere Staaten und Völker, unterdrückten in ihrem Staatsgebiet Menschen, die sie per rassistischer Definition als Fremde, nicht Teile ihres Volkes, deklarierten und behielten Mit- und Selbstbestimmungsrechte nur Männern vor.
Und auch während nach dem 1. Weltkrieg mehr Länder in Europa demokratisch wurden, blieb die Akzeptanz für offenen Rassismus und aggressive Außenpolitik.
Nach dem 2. Weltkrieg wurden dann auch endlich die Kolonialreiche der europäischen Staaten aufgelöst, und nach und nach bekamen diese unterdrückten Völker ihre Unabhängigkeit. In den Bevölkerungen schwand die Akzeptanz für Kriege zum Erhalt dieser schnell, aber zeitgleich entwickelte sich eine neue Art der Hegemonie. Im Zuge des kalten Krieges setzte sich die Denkweise in Einflussbereichen durch. Als naturgegeben akzeptierten viele Menschen den ursprünglich durch atomare Drohung geschaffenen Fakt, dass Großmächte kleinere Staaten mit Gewalt in ihren Einflussbereich ziehen. Nicht nur Kriege wurden so gerechtfertigt, auch an die Teilung Europas wurde sich gewöhnt. Während das für unsere, nach dem Ende des kalten Krieges geborene Generation größtenteils unnatürlich, absurd, und offensichtlich zutiefst ungerecht und illegitim erscheint, war es für die während des kalten Krieges aufgewachsenen Menschen einfach ein Fakt des Lebens.
Da verwundert es nicht, dass sich diese Denkweise auch nach dem Ende des kalten Krieges großem Zuspruch erfreut.
Und es ist ja auch so komfortabel, weiter in Einflussbereichen zu denken – “unsere Seite” hat schließlich gewonnen.
Weg war die Bedrohung durch die mächtige Sowjetunion, stattdessen war da plötzlich eine als Regierung getarnte Mafiabande, die uns nur zu gern die aus ihrem Land ausgebeuteten Bodenschätze billig verschacherte, und das daraus gewonnene Geld in unseren Unternehmen anlegte und in unserer Wirtschaft ausgab.
Die in den 70ern und 80ern entwickelte Doktrin vom “Wandel durch Annäherung” – in der ideologisch rigiden Sowjetunion, in der die Bevölkerung fast absoluter Abschottung und Indoktrination ausgesetzt war durchaus sinnvoll – wurde in ihr Gegenteil verkehrt, um diesen fragwürdigen Geschäften nicht nur eine Rechtfertigung, sondern sogar einen höchst moralischen, pazifistischen Anstrich zu geben.
Und es war ja auch so schön praktisch.
Mit Putins Gas können wir unsere Energiewende angehen, ohne irgendwelchen NIMBYs auf den Schlips zu treten.
Weder wird die Toleranz von Menschen, die mit der Ankündigung einer Windkraftanlage plötzlich ihre Liebe zum Rotmilan entdecken durch ein Gaskraftwerk übermäßig strapaziert, noch müssen Altgrüne Technikskeptiker, denen der Atomausstieg schon immer wichtiger war als das Klima, ihre Prioritäten auf den Prüfstand stellen.
Und schön billig ist es auch.
Dass in Putins Reich Menschen, die ihn kritisieren, die kuriosesten Unfälle erleiden – sicher nur ein Zufall. Er ist doch ein lupenreiner Demokrat.
Warum den schönen Gazprom-Posten riskieren, indem man das hinterfragt?
Und nach dem Denken des kalten Krieges ist es ja auch gar nicht unsere Angelegenheit, was in Russland passiert.
Aber plötzlich ist es das. Plötzlich bombardiert Putin Apartmentblocks in der Ukraine. Mit Raketen, bezahlt von unserem Geld.
Und plötzlich bedroht er uns mit atomarer Vernichtung, weil wir ihn deswegen sanktionieren. Das hätte ja auch keiner ahnen können. Das Journalisten von Brücken und aus Fenstern fallen, war ja nur Zufall. Und die Kriege in Tschetschenien und Georgien waren ja soweit weg von uns.
Und das Gas war doch so schön billig.
Und umweltfreundlicher als unsere Kohle war es auch.
Es beweist eins: Demokraten müssen für alle Menschen demokratisch denken. Wer einen Autokraten im Ausland unterstützt, erntet autokratische Politik. Weder Moral noch Realpolitik enden an Landesgrenzen oder anderen ausgedachten Linien.
Wir müssen besser werden.
Blog-Beitrag unseres stellvertretenden Kreisvorsitzenden Paul Weiske.
Disclaimer: Blog-Beiträge entsprechen nicht zwangsläufig der Meinung des Kreisverbandes